Zeitreise
Meine Leidenschaft zur Fotografie entdeckte ich Anfang der 80er Jahre in der Foto-AG der Schule, in die ich gerade gekommen war. Mit der Agfa Optima Kleinbildkamera meines Vaters zog ich los und experimentierte. Eines meiner ersten Portraits erstellte ich von meinem Opa und seinen Nachbarn, dem Ehepaar Kosber. Das Foto zeigt die drei Eis essend vor ihrem Haus. Ich erinnere mich genau, wie faszinierend ich vor allem Herrn Kosber fand, dessen Gesicht so gezeichnet von seinem Leben und den Erfahrungen zweier Weltkriege war und dennoch so viel Güte und Ruhe ausstrahlte.
Bis zum Ende der Schulzeit war die Kamera fortan mein Begleiter. Am Tag der Abiturszeugnisausgabe im Jahr 1990 ging ich mit einem Rucksack, 1000 DM und der festen Absicht hier Fotografin zu werden nach Berlin. Schliesslich landete ich im Ostteil der Stadt, im Prenzlauer Berg. Hier bezog ich meine erste Wohnung in der Choriner Straße und richtete mir in der Küche eine eigene Dunkelkammer ein. Die Fotos, die kurz nach der Wende entstanden, zeigen den Prenzlauer Berg und seine Bewohner zu einer Zeit, als es noch Toiletten auf „halber Treppe“, Warteschlangen vor den wenigen öffentlichen Telefonzellen, ganze Häuserzeilen versehen mit Brandwänden und Einschusslöchern und von Kohleöfen verrauchte Straßen gab.
Meine ersten Reportageerfahrungen sammelte ich auf dem Christopher Street Day.
Damals begann ich auch, Menschen auf der Straße anzusprechen um sie, mit ersten eigenen Lichtaufbauten und in Szene gesetzt, zu portraitieren. Ich experimentierte mit dem orthochromatischen Film „AGFA Ortho 25“, der ursprünglich für die Infrarotfotografie gedacht war und extrem starke Kontraste hervorbrachte.
Da ich niemanden vom Fach persönlich kannte, den ich um eine Einschätzung meiner Arbeitsproben hätte bitten können, ging ich zum ansässigen Fotofachgeschäft „Foto-Klinke“, um meine Prints dem Filialleiter Wolf Holcman zu zeigen. Dieser war über die Grenze des Stadtteils hinaus bekannt für sein technisches und fotografisches Fachwissen. Nach Durchsicht der Arbeitsproben sagte er, dass er „schon Schlechteres gesehen habe“ und bestärkte mich in meinem Vorhaben, die Aufnahmeprüfung des Lette Vereins Berlin, für einen der begehrten Ausbildungsplätze zur Fotografin, zu absolvieren.
Im Herbst 1994 startete ich meine Ausbildung am Lette Verein Berlin…